Psychologische Reaktanz

Veröffentlicht am 09. Juli 2015
Letzte Aktualisierung am 23. März 2023

Die Theorie der psychologischen Reaktanz nach (Brehm, 1966) beschreibt ein motivationales Verhalten (eine motivationale Erregung), welche bei Personen auftritt, die sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeengt fühlen. Als Reaktion auf die eingeengte oder eliminierte Freiheit, folgt Widerstand in Form von anti konformen Verhalten (Reaktanz), welche versucht, die eingeengte oder eliminierte Freiheit wiederherzustellen. Die Person baut somit gegen den Versuch des Einflusses ein Abwehrverhalten auf.

Theorie der psychologischen Reaktanz nach Brehm (1966)
Grafik: Bilgin, 2015

Widerstände können zum Erhalt bestehender Lebensumstände und -formen, jedoch auch gegen bestehendes, im Sinne eines Abwehrverhaltens führen (Stadler & Kern, 2010; Stumm & Pritz, 2000). Ein Widerstand entsteht durch die Auffassung, wie gewinnbringend eine Veränderung oder ein Einflusspotenzial sein kann und ob durch diesen eine bessere Zukunft in Aussicht gestellt wird (Thiel, 2009; Zülsdorf, 2008). Ein Widerstand ist aus der Sicht des Beeinflussers das „wahrgenommene Verhalten anderer, die nicht bereit zu sein scheinen, Einflussnahme oder Hilfe zu akzeptieren“ (Nevis 1988, S. 169 zit. In: Thiel, 2009, S. 232). Mögliche Reaktionen auf die Veränderungen und Einflusspotenziale sind zum einen die Konformität, die Anpassung an die Veränderungen und zum anderen die Opposition, der Widerstand gegen die Veränderungen. So wird gegenüber den initiierten Einflussversuch zum Beispiel in Form von Druck, Zwang, „jegliche Art von Festlegung auf eine bestimmte Reaktion, sei es durch aggressive Instruktionen.“ (Grabitz-Gniech & Zeisel, 1974) ein Widerstand ausgeübt (Dickenberge & Gniech, 1992). Der erwartete Widerstand von freiheitseinengenden Instruktionen muss kein direkter offener Widerstand sein, dieser kann häufig indirekt in Form von aggressiven Gefühlen erfolgen (Merz, 1984). Ein Widerstandsverhalten entsteht aus reaktanten Verhaltensmustern (Grabitz-Gniech & Zeisel, 1974; Mandl, Kopp, & Dvorak, 2004). Ein Widerstand entsteht als Folge von Freiheitseinengungen (Merz, 1984).

„Gerade in Arbeitsfeldern, bei denen Menschen unfreiwillig Veränderungsprozessen unterworfen sind, kann sich Reaktanz in massiven Widerstandsreaktionen äußern.“ (Stadler & Kern, 2010, S. 294) Doch auch bei freiwilligen Entscheidungen, wie der Entschluss eine Berufsausbildung anzutreten, können Veränderungsprozesse und Abweichungen von idealtypischen Vorstellungen Einflussfaktoren sein (Stadler & Kern, 2010).

State / Trait Reaktanz

State-Trait-Reaktanz
Grafik: Bilgin, 2015

»In jeder psychodiagnostischen Messung fließen sowohl konsistente als auch
inkonsistente Merkmale einer Person mit ein« (Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. 2012)

State-Reaktanz: Inkonsistente/ zeitlich instabile Merkmale [Zustand]
situativ angeregter / gesteuerter Prozess, durch interne oder externe Reize. (vgl. Mc Clelland, 1985)

Trait-Reaktanz: Konsistente / zeitlich stabile Merkmale [Eigenschaft, Disposition]
überdauernde Persönlichkeitseigenschaft, die die Wahrnehmung der Umwelt beeinflusst. (vgl. Mc Clelland, 1985)

»Vernachlässigt der Konstrukteur die Kontrolle potenziell situativer Einflüsse auf die Messung
bei der Entwicklung des Messinstruments führt die Anwendung des Messinstruments leicht zu
Fehlinterpretationen. Die Konstruktvalidität würde etwa dann gemindert, wenn situative Einflüsse
irrtümlich als Traiteinflüsse interpretiert werden.« (Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. 2012)

Möglichkeiten der Freiheitseinengung

Durch die Regression von Verhaltens- oder Meinungsalternativen einer Person, kann die Freiheit einengen, oder im Extremfall eliminiert werden, sodass die Person keinerlei an alternativen Möglichkeiten mehr zur Verfügung hat Raab, et al. (2010) und Wicklund, et al. (1974) beschreiben hierzu drei Möglichkeiten der Realisierung einer Freiheitsbedrohung. Nach Dieckenberger, et al. (1993) lässt sich der Freiheitsspielraum aus allen subjektiv erwarteten Verhaltensalternativen beschreiben, welche unabhängig davon sind, ob diese gegenwärtig, oder in naher Zukunft zur Verfügung stehen.

Freiheitseinengung Reaktanz, aktiver und passiver sozialer Einfluss von außen, aktive und passive Behinderung von innen.
Grafik: Bilgin, 2015

aktiver sozialer Einfluss von außen
»sozialer Einfluss, der in erster Linie durch Kommunikation erfolgt.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)

passiver sozialer Einfluss von außen
»umweltbedingte Gegebenheiten und /oder Entwicklungen,
die nicht in direktem Zusammenhang mit Personen stehen.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)

aktive / passive Behinderung von innen
»eigenes Verhalten, und zwar Entscheidungen für eine und gegen andere Alternativen.«
(Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F., 2010)

Reaktanz im Alltag

Reaktantes Verhalten findet sich in alltäglichen Gegebenheiten wie zum Beispiel in der Erziehung, von Kindern im Trotzalter, bei Verboten und Geboten, psychologischen oder medizinischen Therapien, zwischenmenschlichen Interaktionen und bei ausverkauften Waren wieder (Bierhoff, 2006, 100).

Fragebogen zur Messung der psychologischen Reaktanz

Hinweise zum Untersuchungsgegenstand
Liebe Schüler*in,
im Folgenden werden einige Fragen aufgeführt, die darauf abzielen, deine Meinung zu den jeweiligen Fragen einzuholen. Bitte lies die Fragen sorgfältig durch und wähle jeweils eine Option aus. Natürlich werden deine Angaben anonymisiert, daher ist kein Name erforderlich. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der wissenschaftlichen Forschung.
Vielen Dank für deine Teilnahme an unserer Umfrage!

Fragebogen

Fragebogen Reaktanz (Merz, 1983)
Fragebogen (Merz, 1983)

Titel: Fragebogen zur Messung von psychologischer Reaktanz
Anmerkung: Optimiert mittels klassischer und IRT-basierter Analysemethoden nach (Herzberg, 2002)
Rasch-homogenes Messinstrument
Autor: Merz, 1983; Herzberg, 2002
Veröffentlicht in: Diagnostica 1983, Band XXIX, Heft 1, S. 75 – 82
Items: 12
Verfügbare Sprachen: Deutsch, Englisch, Türkisch

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Literaturverzeichnis

Brehm, W. J. (1966). A Theory of Psychological Reactance. (L. Festinger & S. Schachter, Eds.).
New York, London: Academic Press.

Bierhoff, H.-W. & Frey, D. (2006). Handbuch der Sozialpsychologie und Kommunikationspsychologie.
Göttingen, Bern, Wien. 494- 503.

Dickenberge, G., & Gniech, D. (1992). Die Reaktanz-Theorie. Bremer Beiträge Zur Psychologie, 104, 28.

Grabitz-Gniech, G., & Zeisel, B. (1974). Bedingungen für Widerstandsverhalten in psychologischen Experimenten:
Ton der Instruktion sowie Einstellung zum Forschungsgegenstand und Studienfach der Versuchs-.
Zeitschrift Für SoziologieSoziologie, 3(2), 138–148.

Herzberg, P. Y. (2002). Zur psychometrischen Optimierung einer Reaktanzskala mittels klassischer
und IRT-basierter Analysemethoden. Diagnostica, 48, 163–171.

Kelava, A. & Schermelleh-Engel, K. (2012). Latent-State-Trait-Theorie. In H. Moosbrugger & A. Kelava (Hrsg.),
Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (2., aktualisierte und überarbeitete Auflage) (S. 363-382).
Heidelberg: Springer.

Mandl, H., Kopp, B., & Dvorak, S. (2004). Aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde
im Bereich der Lehr-Lern-Forschung – Schwerpunkt Erwachsenenbildung –. Psychologie Schweizerische
Zeitschrift Für Psychologie und ihre Andwendungen, 100. Retrieved from
http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2004/mandl04_01.pdf

McClelland, D.C. (1985b). Human motivation. London: Scott, Foresman & Co.

Merz, J. (1984). Zum Auftreten von psychologischer Reaktanz nach freiheitseinengenden.
Memorandum Lehrstuhl Psychologie I 1, 17.

Merz, J. (1983). Fragebogen zur Messung der psychologischen Reaktanz. Diagnostica.
Band XXIX. Heft 1. S. 75 – 82

Gerhard, R., Unger, A. & Unger, F. (2010). Die Theorie psychologischer Reaktanz
in Marktpsychologie. Wiesbaden. Gabler, 65-76.

Stadler, C., & Kern, S. (2010). Psychodrama. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
http://doi.org/10.1007/978-3-531-92550-9

Stumm, G., & Pritz, A. (Eds.). (2000). Wörterbuch der Psychotherapie. Vienna: Springer Vienna.
http://doi.org/10.1007/978-3-211-99131-2

Thiel, H.-U. (2009). Handbuch Supervision und Organisationsentwicklung. (H. Pühl, Ed.)Supervision.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. http://doi.org/10.1007/978-3-531-91556-2

Zülsdorf, R.-G. (2008). Strukturelle Konflikte im Unternehmen.
http://doi.org/10.1007/978-3-8349-9565-0